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Beitrag vom 20.06.2012
Marieke und die Männer. Ein Film von Sophie Schoukens. Kinostart 28. Juni 2012
Ulrike Wagener
Die Suche nach Liebe und Zärtlichkeit führt Marieke in erotische Abenteuer mit sehr viel älteren Männern. Von der Mutter verachtet und der Freundin unverstanden sieht sie nur noch einen Ausweg: ...
Marieke (Hande Kodja) liebt alte Männer. Sie schläft mit ihnen und fotografiert ihre Körper. Wie ein Puzzle setzt sie die Fragmente ihrer Liebhaber zusammen. Ihre Mutter Jeanne (Barbara Sarafian) findet das pervers. Ihre Freundin Anna (Caroline Berliner) meint, sie verleihe den alten Männer dadurch Schönheit. Jakoby (Jan Decleir), der beste Freund ihres verstorbenen Vaters, rät ihr, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Marieke ist das alles egal. Für sie sind diese Fotografien lebensnotwendig.
Als Marieke acht Jahre alt war starb ihr Vater. Seitdem ist dieses Thema zwischen Mutter und Tochter tabu. Jeanne verlässt mit Marieke das gemeinsame Haus und lässt alle Erinnerungsstücke hinter sich. Die Fragen des jungen Mädchens bleiben unbeantwortet. Kein Foto des Vaters bekommt sie je mehr zu Gesicht. Die Mutter distanziert sich mehr und mehr von ihren Gefühlen, auch von denen zu Marieke.
Die Suche der jungen Frau nach Liebe und Zärtlichkeit führt sie in die Arme ihrer kontrovers diskutierten Liebhaber. Dort meint sie die Standhaftigkeit und Zuneigung zu finden, die sie sucht. Nur in den Armen ihrer zahlreichen Verehrer kann sie die Leichtigkeit entfalten, die ihr sonst häufig fehlt. Auf einfühlsame Art und Weise geht Sophie Schoukens mit dieser Thematik um. In der Psychoanalyse als Elektrakomplex pathologisiert und in der Literatur häufig, aber meist aus männlicher Sicht, behandelt, führt die Regisseurin einen Perspektivenwechsel durch. Denn hier steht Marieke als Frau und Akteurin im Mittelpunkt. Das Unverständnis, welches ihr von Seiten ihrer engsten Vertrauten entgegengebracht wird, vergegenwärtigt das gesellschaftliche Unverständnis gegenüber dem Thema.
Das eiserne Schweigen der Mutter wird ins Wanken gebracht als Jakoby, der beste Freund und Verleger ihres Mannes und ihr eigener Liebhaber, auftaucht. Er möchte das Buch ihres Mannes neu auflegen. Als sie ihm den Kontakt verweigert, sucht er Marieke an ihrer Arbeitsstelle, einer Schokoladenfabrik, auf.
Marieke verabredet sich mit ihm und erwartet eine neue Affäre. Stattdessen wird sie mit ihrer Vergangenheit konfrontiert und muss sich zum ersten Mal erinnern.
Doch diese Erinnerungen drohen sie zu erschlagen. Verlassen von ihrer Mutter und der besten Freundin sieht sie sich einer inneren Leere gegenüber, die schnell in Schuldzuweisungen und eine unbändige Wut umschlagen. An dieser Stelle kommt auch in den Film mehr Bewegung. Anstelle der zahlreichen ruhigen, oft unscharfen Nahaufnahmen treten Kamerafahrten, die Marieke auf ihrer Flucht vor Schmerz und Trauer begleiten.
Die Regisseurin ließ sich von Jaques Brels Chanson "Marieke, Marieke" und der Mischung aus flämischer und französischen Sprache inspirieren.
"Zonder liefde, warme liefde, tout est fini!"
"Ohne Liebe, zärtliche Liebe, ist alles vorbei!"
Damit spricht der belgische Chansonnier das aus, was Sophie Schoukens selbst für den essentiellen Punkt ihres Films hält.
AVIVA-Tipp: "Wie kann ein Mädchen zur Frau werden, wenn es niemanden hat, an dem es sich orientieren kann und der ihr Halt gibt?" Dieser Frage geht Sophie Schoukens in "Marieke und die Männer" auf sensible und gleichzeitig forsche Art und Weise auf den Grund. Aus Perspektive der jungen Frau gelingt es ihr, ein häufig diskutiertes Thema zu behandeln, ohne zu pathologisieren.
Zur Regisseurin: Sophie Schoukens ist Drehbuchautorin, Regisseurin und Produzentin. Sie studierte Kunstgeschichte, Kommunikationswissenschaften und Film. Ihre Karriere begann als Bühnenschauspielerin in New York, wo sie mehrere Jahre lebte. Dort nahm sie an Drehbuchkursen der Columbia University teil. Nach ihrer Rückkehr nach Europa wurde sie Filmproduzentin und legte zahlreiche preisgekrönte Produktionen und Koproduktionen vor. Bis 2008 leitete sie außerdem die Entwicklungsabteilung des MEDIA Programmes der Europäischen Union. Ihr Regiedebüt war der Kurzfilm "Alice or life in black and white", welcher im Rahmen der Berlinale 2008 seine Premiere feierte und seither mehrfach auf internationalen Festivals ausgezeichnet wurde. "Marieke und die Männer" ist ihr erster abendfüllender Spielfilm.
Zur Hauptdarstellerin: Hande Kodja studierte darstellende Kunst am Conservatoire National Supérieur d´Art Dramatique in Paris. Sie wurde als Hauptdarstellerin des Films "Meurtières" von Patrick Grandperret bekannt. Der Film wurde 2006 in Cannes mit dem Jurypreis ausgezeichnet. Im selben Jahr wurde sie für ihre schauspielerische Leistung in "Mon Prince Charmant" von Jean-Paul Civeyrac in die Riege der Cannes Talents gewählt.
(Quelle: Filmverleih)
Marieke und die Männer
Originaltitel: Marieke, Marieke
Belgien, 2011
Drehbuch und Regie: Sophie Schoukens
Produktion: Jan Roekens, Sophie Schoukens, Thanassis Karathanos, Karl Baumgartner
DarstellerInnen: Hande Kodja, Jan Decleir, Barbara Sarafian, Caroline Berliner, Philippe Van Kessel, Bernard Graczyk, Karim Barras, Michel Israel, Pauline Haugness, Jean-Michel Vovk, Valérie Lemaître, Nicole Valberg, Pierre Lognay, Thomas Coumans
Verleih: Neue Visionen Filmverleih
Kamera: Alain Marcoen
Ton: Johannes Doberenz
Schnitt: Peter Woditsch
Länge: 85 Minuten
Kinostart: 28. Juni 2012
www.mariekemarieke.be
Weitere Infos unter:
Elektrakomplex, Lolita-Komplex oder Lulu-Syndrom
www.arte.tv
Elektrakomplex von Tobias Bänsch
Interview mit Sophie Schoukens in französischer Sprache:
www.youtube.com